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Weltmacht gegen Klima: Wie die USA mit Energiesicherheit Geopolitik macht
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Die unerzählte Geschichte Palästinas & Israels – Abby Martin
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Neue NATO-Strategie im Ukraine-Krieg
Das Bürgergeld ist im Visier
Gegenwärtig erleben wir mal wieder eine Kampagne gegen „die faulen Armen“.
Das Bürgergeld ist im Visier.
Es wird behauptet, viele Erwerbstätige wollten nicht mehr arbeiten. Sie hingen lieber in der Hängematte des Bürgergeldes ab und peppten ihr Einkommen eventuell noch durch Schwarzarbeit auf. Grund dafür: Das Bürgergeld sei zu hoch und der Abstand zwischen dem Arbeitslohn und dem Bürgergeld stimme nicht mehr. Das Lohnabstandsgebot sei verletzt.
Einen Auftakt zu der Kampagne in der Presse bildete ein Artikel von Dietrich Creutzberg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 14. September. Darin wird eine Vergleichsrechnung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft wiedergegeben zwischen dem Anspruch auf Bürgergeld für eine Familie mit zwei heranwachsenden Kindern und einer gleich großen Familie, die von dem Mindestlohn von 12 Euro bei einer Arbeitswoche von 38,5 Stunden lebt.
Die Bürgergeldfamilie erhält danach als Regelentgelt 1.742 Euro, dazu
1.190 Euro Miet- und Heizkosten in Hamburg für eine Wohnung mit 95 m², zusammen also 2.932 Euro.
Der Erwerbstätige bekommt 1.585 Euro netto aus dem Arbeitslohn,
Kindergeld sind 500 Euro. Als Wohngeld erhält er 793 Euro Mietzuschuss. Insgesamt ergibt das 2.878 Euro, also 54 Euro weniger als der Bezieher von Bürgergeld.
Dann behauptet Creutzberg, der Erwerbstätige habe Anspruch auf aufstockendes Bürgergeld. Damit erhielte er zwar ein um 378 Euro höheres Gesamteinkommen als der Bürgergeldhaushalt, das sei aber, so folgert Creutzberg, als „Arbeitsanreiz“ zu wenig.
Die Menschen flüchteten lieber in das Bürgergeld.
Zur Festigung dieser These liefert die FAZ nun regelmäßig dubiose Berichte von Unternehmern, die diese These aus „eigener Erfahrung“ untermauern sollen.
Die Zahlen von Creutzberg sind in zwei Punkten zu kritisieren: In seinem Zahlenbeispiel unterstellt er, dass beide Kinder seiner Musterfamilie zwischen 15 und 18 Jahren alt sind und damit der höchsten Bedarfsstufe angehören. Hätte er angenommen, dass die Kinder z.B. unter 6 und zwischen 7 und 13 Jahren alt wären, hätte die Familie statt 840 nur 666 Euro für die Bedarfe der Kinder erhalten. Der zweite Trick, um das Bürgergeld möglichst hoch aussehen zu lassen ist, dass er für Wohnung und Heizen eine extrem teure Stadt wählt. Hätte er sich am Bundesdurchschnitt orientiert, wären die Zahlen erheblich niedriger
Angenommen, der Bundesdurchschnitt läge bei 800 Euro für Warmmiete, ist seine Rechnung für das Bürgergeld viel zu hoch angegeben. Bei niedrigerem Kindesalter und durchschnittlicher Warmmiete ergibt sich für 2023 ein Bürgergeldanspruch von ca. 2.320 Euro.
Der Vollzeit beschäftigte Erwerbstätige mit Mindestlohn und Wohngeld hat in der Regel 350 Euro mehr.
Weiter behauptet Creutzberg, der Erwerbstätige hätte Anspruch auf ergänzendes Bürgergeld und bekomme damit ein um 378 Euro höheres Einkommen. Auch das stimmt nicht. Das Job-Center verweist ihn auf Wohngeld, weil das die vorrangige Leistung ist. Falls ein Bürgergeld gewährt würde, würde sein Einkommen auf das Bürgergeld angerechnet. Er bekäme nicht die gesamte Warmmiete erstattet.
Der Bürgergeldanspruch des Erwerbstätigen wäre knapp niedriger als sein Lohn mit Kindergeld und Wohngeld. Richtig ist nur: die Vollzeit erwerbstätige Person mit Mindestlohn muss Sozialleistungen beanspruchen, um über dem Bürgergeld zu liegen.
Creutzberg will beweisen, dass das Bürgergeld so hoch sei, dass es sich nicht lohne, zu arbeiten. Deswegen manipuliert er die Zahlen. Er kritisiert nicht, dass der Arbeitslohn so niedrig ist, dass eine Familie ohne zusätzliche Sozialleistungen nicht ausreichend ernährt werden kann. Seiner Ansicht nach sind die Sozialleistungen zu hoch, u. a. auch das Wohngeld, obwohl er das nicht direkt angreift. Der Lohnabstand sei nicht mehr gewährleistet und die Motivation zur Arbeit ginge dadurch verloren.
Das ist der Inhalt der Kampagne gegen das Bürgergeld.
Politischer Vorreiter der Kampagne ist Friedrich Merz. Schon Ende August äußerte er in der Tagesschau: „Diejenigen, die arbeiten, müssen netto mehr in der Tasche haben als die, die soziale Transferleistungen bekommen“.
(https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/morgenmagazin/politik/CDU-Vorsitzender-Friedrich-Merz-warnt-vor-Ueberbietunsgwettbewerb-bei-Transferleistungen-100.html) ,31.08.2023
Am 20. November legt er nach: „Die zum Jahreswechsel angekündigte Anhebung des Bürgergelds um rund zwölf Prozent verletze das Lohnabstandsgebot und sei eine Bremse für den gesamten Arbeitsmarkt“.(https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/merz-haushaltsluecke-buergergeld-kindergrundsicherung-100.h), 21.11.2023
Es gibt kein gesetzliches Lohnabstandsgebot mehr
Bis zum 31.12. 2010 galt im Sozialhilferecht, „dass bei Haushaltsgemeinschaften von Ehepaaren mit drei Kindern die Regelsätze unter dem erzielten monatlichen durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelt unterer Lohn- und Gehaltsgruppen in einer entsprechenden Haushaltsgemeinschaft mit einer alleinverdienenden vollzeitbeschäftigten Person bleiben.“ (§28 Abs. 4 SGB XII a.F.)
Im Zuge der Neugestaltung der Hartz IV-Regelbedarfe durch das Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) wurden SGB XII Abs. 4 und die Regelsatzverordnung mit Wirkung zum 1. Januar 2011 ersatzlos gestrichen. (Quelle: Wikipedia, Lohnabstandsgebot. Aufgerufen 24.11.2023. Ausführlich dazu: Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste. Sachstand WD6-3000-49/23. Zur Entwicklung des Lohnabstandsgebots. 17.09.2023).
Die alte Sozialhilferegelung war mit Hartz IV und dem konsequenten Ausbau des Niedriglohnsektors nicht mehr vereinbar. Ein Lohnabstand sollte nur noch über Freibeträge geregelt werden.
Das Gerede vom Gebot zum Lohnabstand entbehrt jeder gesetzlichen Grundlage.
Das wissen jene, die davon reden, sehr wohl. Es sind genau diejenigen, die auch heute noch die Hartz IV-Gesetze bedingungslos bejubeln, die Erhöhung des Mindestlohns bekämpfen und den Niedriglohnsektor ausweiten wollen.
Der Vergleich einer fünfköpfigen Familie in Grundsicherung mit dem Einkommen eines Alleinverdieners ist sozialpolitisch nicht haltbar.
Eine fünfköpfige Familie, bestehend aus einem Elternpaar und drei minderjährigen Kindern, (das waren die Vorgaben im Sozialhilfegesetz), erhielte heute 2.039 Euro Grundsicherung. Rechnet man wie im Hamburger Beispiel von Creutzberg 1.200 Euro Miet- und Heizkosten hinzu, erhielte sie 3.239 Euro.
Um auf die gleiche Summe an Einkommen zu gelangen, müsste die allein verdienende Erwerbsperson zuzüglich zu 750 Euro Kindergeld 2.490 Euro netto verdienen. Dazu bräuchte sie bei einer Arbeitszeit von 167 Stunden im Monat einen Stundenlohn von 20 Euro brutto.
Ein Mindestlohn, der ausreicht, eine fünfköpfige Familie zu ernähren, ist unter den sozialpolitischen Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland undenkbar, zumal ja noch ein Lohnabstand hinzugedacht werden müsste. Demnach wäre dieser ohne ca. 22 Euro brutto Mindestlohn nicht zu haben.
Die Befürworter des Lohnabstands haben auch gar nicht vor, die Löhne zu erhöhen. Sie wollen die Grundsicherung in der jetzigen Form einschränken und Sanktionen wieder verschärfen, damit sich „Arbeit wieder lohnt“. Das Gerede vom Lohnabstand und der Arbeit, die sich wieder lohnen soll, ist pure Demagogie.
Der Familientypus der vier -oder fünfköpfigen Familie mit einem Ernährer ist als sozialpolitischer Richtwert ungeeignet.
Es gibt in Deutschland ca. 41 Millionen Haushalte. 16,7 Millionen davon sind Einpersonenhaushalte. Diese stellen mit ca. 41 Prozent die größte Gruppe aller Haushalte. Der Anteil dieser Personen an der Bevölkerung beträgt 20 Prozent. Haushalte von Paaren mit 2 Kindern gibt es 2,82 Millionen. Das sind 6,9 Prozent aller Haushalte mit 13,6 Prozent Anteil an der Bevölkerung.
Von Paarhaushalten mit fünf Personen und mehr gibt es 0,953 Millionen. Das sind 2,3 Prozent aller Haushalte. In ihnen leben ca. 5,8 Prozent der Bevölkerung. (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Haushalte-Familien/Tabellen/3-1-paare.html)
Haushalte von Paaren mit Kindern verfügen über ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 5.677 Euro.
Alleinerziehende mit Kindern haben 3.078 Euro im Durchschnitt und Alleinlebende 2.941 Euro.
(https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Einkommen-Armut/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIII17.pdf)
Diese Einkommen sind Durchschnittseinkommen aller Haushalte und sind somit viel höher als untere und mittlere Einkommen. Aber die Proportionen stimmen. Sie zeigen, dass in der Regel Paare mit Kindern sozial bessergestellt sind als Alleinerziehende und Alleinstehende. Der Grund dafür ist die zunehmende Erwerbstätigkeit von Müttern mit minderjährigen Kindern.
Der Anteil erwerbstätiger Frauen stieg in Deutschland ständig an. 1974 betrug er noch 47,2 Prozent. (iw trends 2/2003 Dokumentation: Frauenerwerbstätigkeit und Geburtenverhalten. Susanne Seyda. Juli 2003)
1997 lag der Anteil erwerbstätiger Mütter mit minderjährigen Kindern schon bei 58 Prozent. Er stieg bis heute auf fast 75 Prozent an. In Deutschland sind etwa 7 von 10 Mütter mit Kindern unter 18 Jahren erwerbstätig“.
(https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/10/PD23_392_12_13.html)
Die Berufstätigkeit spiegelt sich in der SGB II-Hilfsquote wider, dem Verhältnis der Personen, die Leistungen aus der Grundsicherung für Erwerbsfähige (Bürgergeld) erhalten, zur Bevölkerung insgesamt. Die Hilfsquote aller Haushalte beträgt 8,4 Prozent. Die entsprechende Hilfsquote der Paare mit zwei Kindern ist mit 5 Prozent unterdurchschnittlich. Erst bei Haushalten mit 3 und mehr Kindern steigt sie auf 17,9 Prozent.
Ihre Gesamtzahl beträgt allerdings nur 7 Prozent aller Haushalte, die Bürgergeld beziehen. Die zahlenmäßig weit größere Gruppe der Singles hat eine Hilfsquote von 10,7 Prozent. Alleinerziehende sind mit einer durchschnittlichen Hilfsquote von 37 Prozent deutlich am meisten armutsgefährdet. Mit steigender Kinderzahl steigt deren Hilfsquote, weil dann die Berufstätigkeit immer weniger möglich ist. (https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Sozialstaat/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIII58.pdf)
Das Kapital ist immer weniger in der Lage, die Reproduktionskosten der Arbeitskraft zu decken
Der Wert der Arbeitskraft richtet sich nach den Kosten, die zu ihrer Erhaltung und Erneuerung notwendig sind. Sie bestehen in den Kosten für ausreichende Ernährung, gesundes Wohnen, angemessene Kleidung und soziale Vorsorge für Krankheit und Alter. Dazu gerechnet werden muss auch ein bestimmter Aufwand für Mobilität und gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe. Hinzu kommen die Ernährungs – und Erziehungskosten für die Kinder, die den zukünftigen Ersatz für verbrauchte Arbeitskräfte bilden.
Das sozialpolitische Modell der Nachkriegszeit sah vor, dass der Arbeitslohn einer einzelnen Person bei einer 40-Stunden-Arbeitswoche mit einem 8-stündigen Arbeitstag hinreichen sollte, die Reproduktion einer fünfköpfigen Familie zu gewährleisten. Die Person des Ernährers war in der Regel männlich. Aus dieser Annahme leitete sich das Lohnabstandsgebot und sein Bezug zur fünfköpfigen Familie im alten Sozialhilferecht ab.
Inzwischen ist es dem Kapital gelungen, die Kosten für Kinder in erheblichem Umfang aus dem Arbeitslohn auszuklammern und auf die Gesellschaft abzuwälzen. 2018 betrugen die monatlichen Kosten für ein Kind im Durchschnitt aller Haushalte 763 Euro. (https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2021/PD21_26_p002.html)
Die Sozialleistungen für Kinder, die nun in erster Linie von den Werktätigen über Steuern erbracht werden müssen, reichen bei weitem nicht aus, die notwendigen Ausgaben für Kinder zu decken. Das Kindergeld beträgt nur 250 Euro und auch die Bedarfssätze für Kinder im Bürgergeld liegen weit unter dem notwendigen Aufwand. Die Folge ist, dass mehr Arbeitsstunden aufgebracht werden müssen, um die Reproduktion der Arbeitskraft zu sichern.
Das Kapital unterwirft immer mehr Lebensarbeitszeit unter sein Kommando
Die Hauptursache der zunehmenden Berufstätigkeit von Frauen ist der Tatbestand, dass ohne deren zusätzliche Arbeit die Familie mit Kindern nicht mehr ausreichend versorgt sein kann. Insgesamt sind 74,7 Prozent der Mütter erwerbstätig. Zwei Drittel von ihnen arbeiten in Teilzeit. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Frauen beträgt 32 Stunden, die von Männern 41 Stunden.(https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Frauen-und-Maenner/generische-Publikationen/Frauen-Maenner-Arbeitsmarkt.pdf?__blob=publicationFile)
Daraus lässt sich folgern, dass die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von berufstätigen Familien mit zwei Kindern inzwischen mindestens 60 Stunden beträgt. Deswegen ist es völlig sinnlos, das Einkommen einer vierköpfigen Familie mit nur einem Einkommen aus Mindestlohn mit dem Einkommen einer Familie mit 2 Kindern mit Bürgergeld zu vergleichen, wie Creutzberg das tut.
Es ist eben ein Tatbestand, dass der Lohn des Einzelnen für eine vierköpfige Familie nicht zur gesellschaftlichen Reproduktion reicht.
Folge ist, dass in den meisten Ländern Europas die Anzahl der Geburten abnimmt. Allein um die Bevölkerung konstant zu halten, müssten Frauen im Durchschnitt 2,1 Kinder zur Welt bringen. In Deutschland war 2022 die Geburtenziffer 1,42. Andere Länder wie z.B. Spanien liegen mit 1,23 Kindern und Italien mit 1,24 Kindern noch weit darunter. Das liegt nicht daran, dass Menschen weniger kinderlieb sind als früher und es liegt auch nicht an den Emanzipationsbestrebungen der Frauen. Die Hauptursache sind die überall niedrigen Arbeitslöhne, die eine verlängerte Arbeitszeit erfordern, um einigermaßen über die Runden zu kommen.
Das Kapital unterwirft die Haushaltssphäre seiner Akkumulation
Mit der zunehmenden Berufstätigkeit der Frauen wurden häusliche Tätigkeiten in die Berufssphäre überführt. Privat betriebene Horte und Kindergärten breiten sich aus und der Umfang schulischer Betreuung nimmt zu. Gleichzeitig entstehen Großküchen, Fastfood-Ketten, Schnellrestaurants und Imbissstuben. Das Kapital bietet Haushaltsgeräte, die die verbleibende Hausarbeit erleichtern oder ganz übernehmen sollen. Die Lebensmittelindustrie produziert Halb- und Fertigprodukte, um das Kochen zu erübrigen.
Die Reproduktionskosten einer vierköpfigen Familie nehmen durch die Vergesellschaftung von Kindererziehung, außerhäusliche Ernährungskosten und zusätzlichen Ausgaben für Kultur und Bildung zu.
Dazu kommt, dass die Werbung Kinder als eigenständige Konsumentengruppe erkannt hat und mit Warenangeboten verführt. Markenkleidung und aufwendige Elektronikgeräte verteuern das Leben.
Aber findet Erleichterung wirklich statt? Werden die Menschen glücklicher? Im Gegenteil. Stress, Erschöpfung und psychisches Elend nehmen drastisch zu. Insbesondere Frauen sind Opfer dieser Entwicklung, weil auf ihnen neben der beruflichen Arbeit nach wie vor der Hauptteil der häuslichen Arbeit lastet.
Innerhalb der Werktätigen entwickelt sich eine neue Spaltung. Es sind hauptsächlich Frauen, die in der beruflichen Sphäre tätig sind, die den häuslichen Arbeiten entstammen. Viele dieser Berufe sind Dienstleistungen, die nur nachgefragt werden, wenn ihre Löhne niedriger sind als in den traditionellen industriellen und verwaltenden Berufen.
Dadurch zementiert sich die sowieso schon vorhanden Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern.
Die Arbeitslöhne sollen nicht steigen?
Merz und seine CDU, die den Wert der Familie immer betonen und sich dafür einsetzen, dass sich Arbeit wieder lohnen solle, sind vehemente Interessenvertreter des deutschen Kapitals. Sie träumen oft davon, die hehre Familie mit vielen Kindern wiederherzustellen, obwohl sie doch gerade als Vertreter des Kapitals daran mitwirken, sie aufzulösen.
Allein Lohnerhöhungen würden dazu beitragen, die wachsenden Reproduktionskosten aufzufangen. Das aber widerspricht den Interessen des Kapitals. Es bekämpft die Erhöhung des Mindestlohns und erklärt in jeder Tarifrunde, Lohnforderungen bedrohten die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Ihre größten Feinde sind diejenigen, die keinen Mehrwert abwerfen. Das Pochen auf ein nicht mehr existierendes Lohnabstandsgebot dient nur dazu, die Regelsätze des Bürgergelds zu senken. Die CDU fordert als aktuelle Maßnahme, dass die Erhöhung des Bürgergelds 2024 ausgesetzt wird. Diese Erhöhung ist mit einem klaren Mechanismus gesetzlich festgelegt worden. Die CDU hat dem Gesetz zugestimmt. Nun kam die Inflation und die Finanzkrise des Bundeshaushalts. Obwohl das Gesetz klar vorschreibt, dass die Inflationsrate für sozial untere Haushalte ausgeglichen werden muss, nun fordert die CDU, dass die ärmsten Haushalte keinen Inflationsausgleich erhalten sollen, weil „sonst der Sozialstaat...vor die Hunde (geht), wenn der Versorgungsemfänger zum Vorbild wird“, wie der Leitende Politik-Redakteur der FAZ Reinhard Müller im Leitartikel schreibt. (FAZ, 05.12.2023)
Das ist das fettlebige Bürgertum in Reinkultur. Sie selbst sorgen mit allen Mitteln, Boni und Sonderzahlungen dafür, dass die Inflation bei ihnen keine Spuren hinterlässt, aber an den Ärmsten tobt sich die Wut aus. Und hier geht der Sozialstaat zugrunde, wenn die Inflation mit 10 Prozent Erhöhung ausgeglichen werden soll?
Die Blaupause, was von einer künftigen CDU- Regierung zu erwarten ist, hat erst kürzlich die AfD-nahe Regierung Melonis in Italien geliefert. Sie hat das Bürgergeld für Alleinstehende zwischen 18 und 65 Jahren faktisch gestrichen. Eine um 55 Prozent abgesenkte Leistung, begrenzt auf 12 Monate, erhält nur noch, wer an einer Wiedereingliederungs- oder Qualifizierungsmaßnahme teilnimmt. Alle gelten grundsätzlich als arbeitsfähig, solange sie kein Attest vorlegen können. Begründet hat Meloni die Streichung damit, dass das Bürgergeld keinen Anreiz biete, tatsächlich zu arbeiten. Wer arbeiten könne, dürfe dem Staat nicht auf der Tasche liegen.
Auch die CDU hat vor, die Sozialleistungen auf breiter Front anzugreifen. Besonders das Bürgergeld will sie wieder einschränken. (Vgl. Carsten Linnemann in FAZ vom 21.11.2023 „Das Bürgergeld würden wir in dieser Form wieder abschaffen“.) In welche Richtung soll es gehen?
Der Druck auf Arbeitnehmer, jede Arbeit auch zu miesesten Bedingungen anzunehmen, soll steigen. Selbst über die Einführung einer Arbeitspflicht für diejenigen, die keine Arbeit finden, wird laut nachgedacht. Nach Generalsekretär Carsten Linnemann (CDU) soll künftig gelten, „dass jeder, der arbeiten kann und Sozialleistungen bezieht, spätestens nach einem halben Jahr einen Job annehmen oder gemeinnützig arbeiten muss“. ... „Wer nicht arbeiten will, muss das nicht tun – er kann dann aber auch nicht erwarten, dass die Allgemeinheit für seinen Lebensunterhalt aufkommt.“
https://www.berliner-zeitung.de/news/buergergeld-cdu-carsten-linnemann-fordert-arbeitspflicht-fuer-sozialleistungsempfaenger-li.2158517
Die Begründungen der CDU sind mit Frau Melonis Ansicht identisch.
Solange die Verwertung von Kapital zu möglichst hohen Renditen das Grundmotiv des Wirtschaftssystems ist, das von den Regierungen unterstützt wird, ist die Absicherung der elementaren Bedürfnisse der Lohnabhängigen ständig durch die Profitinteressen des Kapitals bedroht.
Das Kapital muss für die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft in vollem Umfang aufkommen. Weil die Unternehmer das über den Lohn offensichtlich nicht zu Wege bringen, müssten die entsprechenden Gelder über Kapitalertragssteuern und die veranlagte Einkommensteuer eingetrieben werden.
Bericht von der Lebenshaus-Tagung "We shall overcome!" 2023
Abrüstungskonferenz endet erfolgreich mit Konsens und verabschiedet starke politische Erklärung. Deutschland war nur beobachtend dabei.
Michael Schmid: "Ich wuchs ich mit viel 'Kriegsmüdigkeit' auf"
Ein digitaler MIK – oder viele?
Vor dem Rüstungssturm
SIPRI-Bericht: Die 100 größten Rüstungkonzerne weltweit stehen nach schwachem Jahr 2022 wegen globaler Hochrüstung vor gewaltigem Aufschwung.
Rheinmetall will Umsatz von 2023 bis 2026 verdoppeln.
Der globalen Rüstungsindustrie, darunter deutsche Konzerne, steht nach einem vergleichsweise schwachen Jahr 2022 ein gewaltiger Boom bevor. Dies geht aus dem jüngsten Bericht des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI zu den 100 größten Rüstungsunternehmen weltweit hervor. Laut dem gestern publizierten Bericht ging der Umsatz der 100 Rüstungsgiganten im vergangenen Jahr trotz des Ukraine-Krieges um 3,5 Prozent zurück. Ursache waren einerseits Spätfolgen der Covid-19-Pandemie, andererseits die Tatsache, dass Aufträge, die seit Kriegsbeginn eingingen, weitgehend erst seit diesem Jahr abgearbeitet werden und sich erst in den nächsten Jahren in massiv steigenden Umsätzen niederschlagen. Ein Beispiel bietet der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern, der den Umsatz in diesem Jahr um 15 Prozent oder mehr steigern und 2026 einen Umsatz von 13 bis 14 Milliarden Euro erreichen will – fast doppelt so viel wie 2023. Dabei zeigt der SIPRI-Bericht auch, dass neue Konkurrenz für die alte westeuropäische Rüstungsindustrie erwächst. So steigt der polnische Konzern PGZ auf, der davon profitiert, dass Polen Europas größte Landstreitkräfte aufbauen will. Vor allem türkische Rüstungskonzerne boomen.
2022: Sondereffekte
Die Zahlen, die das Stockholmer Forschungsinstitut SIPRI am gestrigen Montag vorgelegt hat, lassen das bevorstehende rasante Wachstum auf den ersten Blick nicht wirklich erkennen. Zwar lag der Umsatz der 100 größten Waffenschmieden weltweit im vergangenen Jahr um 14 Prozent über demjenigen im Jahr 2015 – ein klares Zeichen für einen langfristigen Anstieg. Doch lag er mit 597 Milliarden US-Dollar zugleich um 3,5 Prozent unter dem Vergleichswert von 2021. Insbesondere der Umsatz der US-amerikanischen (-7,9 Prozent) und der russischen (-12 Prozent) Unternehmen unter den Top 100 ging beträchtlich zurück.[1] SIPRI führt das allerdings auf Sondereffekte zurück. So hatten Rüstungsfirmen in den Vereinigten Staaten mit Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie zu kämpfen gehabt – etwa mit Personalmangel und mit ernsten Problemen in den Lieferketten. Dennoch übertraf ihr Umsatz mit ungefähr 302 Milliarden US-Dollar immer noch die Hälfte des Umsatzes weltweit. Den Rückgang bei den russischen Rüstungsfirmen führt SIPRI auf fehlende Daten, Inflation und die kriegsbedingt erforderliche, aber weniger Umsatz bringende Modernisierung alten Geräts zurück. Die Produktion der russischen Rüstungsindustrie insgesamt läuft seit Kriegsbeginn erklärtermaßen auf Hochtouren.
Die Lage in Europa
Bei den 26 europäischen Rüstungskonzernen unter den globalen Top 100 registrierte SIPRI im Vergleich zum Vorjahreswert ein leichtes Wachstum um 0,9 Prozent auf ein Volumen von insgesamt 121 Milliarden US-Dollar. Gebremst wurde es unter anderem von Einbrüchen in Frankreich (-3,9 Prozent) und Italien (-5,6 Prozent), die das Stockholmer Institut ebenfalls auf Sondereffekte zurückführt. Im Falle Frankreichs schlugen vor allem Einbußen bei Dassault und Safran zu Buche; beide Konzerne sind stark in die Herstellung des Kampfjets Rafale involviert, von dem im vergangenen Jahr weniger ausgeliefert wurden, und sie hatten zudem ebenfalls mit Problemen in den Lieferketten zu kämpfen. Im Falle Italiens wiederum machten sich Verzögerungen bei der Auslieferung von Eurofightern an Kuwait bemerkbar; der Konzern Leonardo, der an ihrer Herstellung beteiligt ist, verzeichnete harte Einbußen.[2] Die vier deutschen Waffenschmieden unter den Welt-Top 100 (Rheinmetall, ThyssenKrupp, Hensoldt, Diehl) steigerten ihren Umsatz um durchschnittlich 1,1 Prozent. Hinzu kommen Firmen mit deutscher Beteiligung, die in mehreren Ländern Europas verankert sind – Airbus (+17 Prozent), KNDS (+11 Prozent) und MBDA (-7,3 Prozent). In KNDS ist der deutsche Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann (KMW) aufgegangen.
In drei Jahren verdoppelt
Rheinmetall, zur Zeit erfolgreichster deutscher Rüstungskonzern, konnte SIPRI zufolge seinen Rüstungsumsatz von 2021 auf 2022 um 6,0 Prozent auf 4,55 Milliarden US-Dollar steigern. Das Unternehmen hält sich auch eine Kfz-Zuliefersparte, die eigentlich dazu dient, Schwankungen im Rüstungsgeschäft auszugleichen; Schwankungen nach unten sind jedoch auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Die Kfz-Zuliefersparte erwirtschaftete 2022 ohnehin nur noch ein Drittel des Gesamtumsatzes (6,74 Milliarden US-Dollar) von Rheinmetall. Der Konzern – auf der Rangliste der 100 größten Rüstungskonzerne weltweit von Platz 31 auf Platz 28 aufgestiegen – zeigt, welches dramatische Wachstum in den kommenden Jahren für die Branche möglich ist. Schon für dieses Jahr rechnet die Düsseldorfer Konzernzentrale mit einem durch den Rüstungsboom erzielten Umsatzwachstum auf 7,4 bis 7,6 Milliarden Euro.[3] Kontinuierlich gehen neue Aufträge ein, aktuell etwa ein Auftrag aus einem NATO-Staat, eine fünfstellige Zahl Artilleriegranaten des Kalibers 155 Millimeter für die Ukraine herzustellen; der Preis beläuft sich auf gut 142 Millionen Euro.[4] Rheinmetall geht davon aus, seinen Umsatz bis 2026 auf 13 bis 14 Milliarden Euro steigern zu können. Das wäre eine knappe Verdoppelung binnen nur drei Jahren.[5]
Rheinmetalls neuer Heimatmarkt
Rheinmetall setzt dabei nicht nur auf die Bundeswehr, die von einem rasant steigenden Rüstungshaushalt profitiert – gegenwärtig von den Sonderschulden („Sondervermögen“) der Bundesregierung, künftig von dem regulären Wehretat, der laut Verteidigungsminister Boris Pistorius nach dem Auslaufen der Sonderschulden um mindestens 23 Milliarden Euro pro Jahr steigen soll (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Der Konzern will zudem bereits in Kürze die Produktion in der Ukraine aufnehmen, dort laut Vorstandschef Armin Papperger „nach etwa sechs bis sieben Monaten das erste radgetriebene Fahrzeug fertig haben – und nach zwölf bis 13 Monaten den ersten [Schützenpanzer] Lynx“.[7] Daneben setzt das Unternehmen stark auf die Vereinigten Staaten, deren Streitkräfte es schon lange beliefert. Die Beziehungen sind mittlerweile so eng, dass Rheinmetall den Auftrag erhalten hat, für das Exportmodell des Kampfjets F-35A Lightning II Rumpfmittelteile zu bauen; der F-35 wird unter Führung des US-Konzerns Lockheed Martin, des mit einigem Abstand umsatzstärksten Rüstungsunternehmens weltweit, hergestellt. Rheinmetall ist zudem in der Schlussauswahl im Bieterkampf um den Bau des Schützenpanzers, der in den US-Streitkräften die Nachfolge des Bradley antreten soll. Die Vereinigten Staaten könnten bis Ende der 2020er Jahre ein „neuer Heimatmarkt“ werden, heißt es bei Rheinmetall.[8]
Neue Konkurrenz
SIPRI bestätigt in dem neuen Bericht, dass zum Teil schon für 2023, allgemein aber für die kommenden Jahre mit einem massiven Rüstungswachstum zu rechnen ist: Dann schlagen die Aufträge, die seit Beginn des Ukraine-Kriegs eingegangen sind und jetzt abgearbeitet werden müssen, in Form steigender Umsätze und Profite zu Buche. Einen Eindruck vom Ausmaß, das das Wachstum annehmen kann, bieten die jüngsten Konzernergebnisse und die Prognosen von Rheinmetall. Dabei zeigt der SIPRI-Bericht auch, dass sich die Konkurrenz in Europa, aber auch weltweit verschiebt. So steigt in Europa etwa der polnische Rüstungskonzern PGZ (Polska Grupa Zbrojeniowa) stark auf und liegt bei SIPRI mittlerweile auf Platz 71, knapp hinter der deutschen Nummer 3, Hensoldt (Platz 69). PBZ profitiert von dem gewaltigen Aufrüstungsprogramm, mit dem Warschau die polnischen Landstreitkräfte zu den größten in Europa machen will; dabei kommen statt deutschen südkoreanische Kampfpanzer zum Zuge (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Die Türkei wiederum ist mittlerweile mit vier statt wie zuvor zwei Rüstungsfirmen unter den globalen Top 100 vertreten; aufgestiegen sind Roketsan, ein Unternehmen, das Raketen herstellt, und vor allem Baykar, der Hersteller der Militärdrohne mit den weltweit meisten Kunden – der Bayraktar TB2. Die türkische Rüstungsindustrie boomt auch sonst, produziert mittlerweile Kampfpanzer und Kampfjets und wird dieses Jahr wohl Rüstungsgüter im Wert von 6 Milliarden US-Dollar exportieren – nach bloß 2,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020.[10] Damit entsteht in Teilbereichen für die alten westeuropäischen Rüstungskonzerne neue Konkurrenz.
[1], [2] The SIPRI Top 100 Arms-Producing and Military Services Companies, 2022. Solna, December 2023.
[3] Rheinmetall verdient im Quartal mehr und übertrifft Erwartungen. handelsblatt.com 25.10.2023.
[4] Rheinmetall liefert Granaten an die Ukraine für 142 Millionen Euro. manager-magazin.de 04.12.2023.
[5] Rheinmetall will 2026 bei mehr Umsatz profitabler arbeiten. handelsblatt.com 21.11.2023.
[6] S. dazu „Bis an die Zähne bewaffnet“.
[7] Rheinmetall liefert Granaten an die Ukraine für 142 Millionen Euro. manager-magazin.de 04.12.2023.
[8] Rheinmetall will 2026 bei mehr Umsatz profitabler arbeiten. handelsblatt.com 21.11.2023.
[9] S. dazu Panzer für Europa.
[10] Andreas Mihm: Killerdrohne im Anflug. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.11.2023.
Ein Friedensplan für Israel und Palästina – Prof. Jeffrey Sachs
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Greenwalds Hundeheim, das von Obdachlosen betrieben wird
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2023/12/08 Bath, Maine, USAMass Rally For GAZA
Die Zukunft unseres Journalismus – Crowdfunding 2024
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Aktionswoche: Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine
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Dieser Realpolitiker ist ein unbehelligter Kriegsverbrecher
VIDEO: President Monroe Helps Bury the Monroe Doctrine at His House
Warum Real-Welt Ökonomie wichtig ist
Warum ist die "reale Welt der Wirtschaft" wichtig? Dieser Titel wirft die Frage auf: Was ist reale Weltwirtschaft? Dies impliziert, dass es eine Wirtschaftswissenschaft gibt, die sich nicht mit der realen Welt befasst.
Anlässlich des Wirtschaftstages der britischen Open University habe ich dazu an der London School of Economics eine Grundsatzvorlesung gehalten.
Und wenn es eine reale Weltwirtschaft gibt, was kann sie dazu beitragen, eine bessere Welt für uns alle zu schaffen?
Bei der realen Weltwirtschaft sollte es darum gehen, zu verstehen, was in der Welt um uns herum geschieht: was die Ursachen für Inflation, Arbeitslosigkeit, Armut, Ungleichheit, Klimawandel usw. sind. Und was sind die wirtschaftspolitischen Antworten. Doch da gibt es ein Problem. Das, was ich als Mainstream-Wirtschaftswissenschaft bezeichne, erörtert oder behandelt diese Fragen der realen Welt nicht sehr gut.
Ein Beispiel, das direkt mit diesem Gebäude zu tun hat, fällt mir ein. Damals, in der Zeit der so genannten Großen Rezession von 2008/2009, als alle großen Volkswirtschaften nach einem gewaltigen Zusammenbruch des Banken- und Finanzsystems einen starken und tiefen Einbruch der Wirtschaftsleistung, der Beschäftigung und der Durchschnittseinkommen hinnehmen mussten, besuchte Königin Elizabeth die London School of Economics.
Als sie dieses Gebäude betrat, fragte sie die versammelten bedeutenden Wirtschaftswissenschaftler, die ihr entgegenkamen: "Warum hat das niemand kommen sehen?" Mit anderen Worten, sie fragte, warum niemand den Zusammenbruch der Finanzmärkte und den darauffolgenden Einbruch, den schlimmsten seit der Depression in den 1930er Jahren, vorhergesehen hatte. Die renommierten Wirtschaftswissenschaftler waren verblüfft über die Frage der Königin nach der Realität.
Es dauerte drei Monate, bis sie mit einem veröffentlichten dreiseitigen Brief der Königin antworteten.
Ich zitiere: "Jeder schien seine eigene Arbeit auf seine Weise gut zu machen. Und nach den üblichen Erfolgsmaßstäben machten sie das oft auch gut. Das Versäumnis bestand darin, zu erkennen, wie sich dies insgesamt zu einer Reihe miteinander verbundener Ungleichgewichte summierte, für die keine einzelne Behörde zuständig war."
Ich glaube, die Ökonomen sagten, dass ihre Theorien in Ordnung zu sein schienen, aber dann kamen viele verschiedenen bekannten Dinge irgendwie in einem perfekten Sturm zusammen und verursachten den Zusammenbruch, und das konnten sie nicht vorhersehen.
Sechs Monate später besuchte die Königin die Bank of England, und einer der führenden Experten für Finanzpolitik antwortete der Königin auf eine ihrer Fragen. Er erklärte der Königin, dass Finanzkrisen ähnlich wie Erdbeben und Grippepandemien selten und schwer vorhersehbar seien, und versicherte ihr, dass die Mitarbeiter der Bank dazu beitragen würden, eine weitere Krise zu verhindern. Prinz Philip ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen: "Wird es also noch eine geben?" Keine Antwort.
Aber hier ist meine Anmerkung: Es geht nicht nur darum, dass die Ökonomen nicht bemerkt haben, dass es aus heiterem Himmel kam, wie ein Asteroid, der die Erde trifft, ein Schock für ein perfekt funktionierendes Wirtschaftssystem. Ihre Theorien schlossen diese Möglichkeit völlig aus.
Robert Lucas ist ein bedeutender Wirtschaftswissenschaftler, der sogar den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten hat. Im Jahr 2003, etwa fünf Jahre vor dem globalen Finanzcrash, verkündete er, dass "die Makroökonomie erfolgreich war: Ihr zentrales Problem der Depressionsprävention ist für alle praktischen Zwecke gelöst, und zwar seit vielen Jahrzehnten."
Eugene Fama ist ein weiterer Nobelpreisträger in Wirtschaftswissenschaften. Er wurde dafür ausgezeichnet, dass er gezeigt hat, dass Märkte effizient funktionieren und dass der Markt Vollbeschäftigung, stetiges Wachstum und steigende Einkommen für alle gewährleistet, solange Sie und ich und alle anderen genügend Informationen über das Geschehen haben. Dies wird als Hypothese der effizienten Märkte (EMH) bezeichnet.
Nach der Großen Rezession wurde Fama gefragt, was falsch gelaufen sei. Er antwortete: "Wir wissen nicht, was Rezessionen verursacht. Wir haben es nie gewusst. Bis heute wird darüber diskutiert, was die Große Depression verursacht hat. Die Wirtschaftswissenschaften sind nicht sehr gut darin, Schwankungen in der Wirtschaftstätigkeit zu erklären.“
Bisher habe ich über ein wirtschaftliches Ereignis und einen Erklärungsansatz gesprochen: die sogenannte Mainstream-Ökonomie und ihr Versagen bei der Vorhersage oder Bewältigung dieses Ereignisses, d. h. der globale Finanzkollaps der Banken und ein starker Rückgang von Beschäftigung und Einkommen weltweit. Ein echtes Problem, auf das der Mainstream keine Antwort hat.
Aber das wirft die Frage auf, dass wir neue Theorien brauchen, um unsere politischen Entscheidungen zu treffen, wenn die Mainstream-Marktwirtschaft die reale Welt nicht gut erklären kann.
Und es gibt andere Theorien. In der Tat können wir die Wirtschaftswissenschaften in verschiedene Schulen einteilen, wobei die Hauptunterteilung zwischen "Mainstream" und "heterodox" besteht. Innerhalb der Hauptströmung gibt es zwei große Unterteilungen.
Die erste wird als neoklassische Schule bezeichnet. Diese Schule geht von der Grundannahme aus, dass ein "freier Markt", d. h. ohne Einmischung oder Unvollkommenheiten durch Monopole, Gewerkschaften oder den Staat, zu harmonischen wirtschaftlichen Verbesserungen in einem so genannten "allgemeinen Gleichgewicht" führen wird. Ein neoklassischer Ökonom hat es einmal so ausgedrückt: "Die Marktwirtschaft ist wie ein ruhiger See oder Teich. Manchmal kann ein Felsen oder ein Stein die Ruhe stören, ein Schock für die ruhige Umgebung, aber wenn diese Störungen aufhören, werden die Wellen im Teich nachlassen und der Teich wird wieder ruhig sein".
Innerhalb der Hauptströmung gibt es auch die keynesianische Schule, benannt nach den Theorien von John Maynard Keynes, dem großen britischen Wirtschaftswissenschaftler des 20. Die keynesianische Theorie lehnt die Gleichgewichtsvorstellung des ruhigen Teiches der neoklassischen Schule ab. Die Keynesianer sind der Ansicht, dass das neoklassische Modell nicht der "realen Welt" entspricht. Die Keynesianer argumentieren, dass Marktwirtschaften manchmal in ein "Ungleichgewicht" geraten, das zu Depressionen und Arbeitslosigkeit führt, aus dem die Wirtschaft nur dann wieder herauskommt, wenn die Regierungen mit Maßnahmen wie dem Drucken von mehr Geld oder der Erhöhung der Staatsausgaben eingreifen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.
In einem Punkt sind sich jedoch sowohl die neoklassische als auch die keynesianische Schule einig: dass ein marktwirtschaftliches System die einzig lebensfähige Form der Wirtschaft ist. Nur ist die eine Schule der Meinung, dass ein "harmonisches" Wachstum durch einen freien Markt ohne Eingriffe erreicht werden kann, während die andere meint, dass der Staat und die Zentralbanken eingreifen müssen, um ein Ungleichgewicht zu korrigieren.
Die Mainstream-Wirtschaftswissenschaft geht jedoch von einer Annahme aus, die sie nicht bewiesen hat - nämlich dass eine Marktwirtschaft, in der Unternehmen Menschen wie uns beschäftigen, um Waren und Dienstleistungen zu produzieren, die sie auf einem Markt gegen Geld - und, was noch wichtiger ist, für Gewinne für die Eigentümer und Aktionäre dieser Unternehmen - verkaufen, die einzige Möglichkeit ist, die Produktion und Verteilung von Dingen zu organisieren, die wir Menschen brauchen.
Aber die Marktwirtschaft hat es nicht immer gegeben - tatsächlich gibt es sie erst seit etwa 250 Jahren. Davor gab es Feudalwirtschaften, in denen Bauern oder Leibeigene das Land für ihre Herren bearbeiteten, die die Erzeugnisse konsumierten. Dieses System gab es über 1000 Jahre lang. Davor gab es Sklavenwirtschaften, in denen Menschen, die in Kriegen gefangen genommen wurden, gezwungen wurden, für ihre Sklavenhalter zu arbeiten - dieses System gab es seit Tausenden von Jahren.
Wir sollten uns bewusst sein, dass die Art und Weise, wie die Wirtschaft heute betrieben wird, nicht immer so war und möglicherweise nicht die beste Art und Weise ist, die Bedürfnisse der Menschheit zu erfüllen. Meiner Ansicht nach gibt es sogar deutliche Anzeichen dafür, dass die Marktwirtschaft in dieser Hinsicht versagt. Es kann also andere Wege der wirtschaftlichen Organisation geben.
Heterodoxe Schulen der Wirtschaftswissenschaften. Es gibt Ökonomen, die ernsthafte Kritik an der herkömmlichen Marktwirtschaft üben. Man kann sie als heterodoxe Schulen bezeichnen – der Begriff bedeutet, was er aussagt: außerhalb des orthodoxen Mainstreams. Innerhalb dieses breiten Spektrums betonen diese Ökonomen das irrationale Verhalten der Märkte und die inhärente Instabilität der Marktwirtschaft. Dazu gehört auch die marxistische Schule, die argumentiert, dass es in der Marktwirtschaft immer wieder zu Krisen kommen wird, die nicht durch den Markt gelöst werden können, und dass die Marktwirtschaft (von den Marxisten als Kapitalismus bezeichnet) daher durch eine Planwirtschaft ersetzt werden muss, die auf dem gemeinsamen Eigentum aller Produzenten beruht.
Die heterodoxe Schule ist sehr kritisch gegenüber dem Mainstream. Vor fast genau sechs Jahren hielten führende heterodoxe Ökonomen ein Seminar über den Zustand der an den Universitäten gelehrten Mainstream-Ökonomie. Zum Auftakt nagelten sie ein Plakat mit 33 Thesen, die die Mainstream-Ökonomie kritisieren an eine Tür. Es war der 500. Jahrestag des Anschlags der 95 Thesen Martin Luthers an die Schlosskirche in Wittenberg, der den Beginn der protestantischen Reformation gegen die "einzig wahre Religion" des Katholizismus auslöste.
Die heterodoxen Ökonomen sagten uns, dass die Mainstream-Ökonomie wie der Katholizismus sei und dass man dagegen protestieren müsse, so wie Luther es 1517 tat. Wie sie es ausdrückten: "Die Wirtschaft ist kaputt. Vom Klimawandel bis zur Ungleichheit hat die (neoklassische) Mainstream-Ökonomie keine Lösungen für die Probleme geliefert, mit denen wir konfrontiert sind, und doch ist sie in Regierungen, Hochschulen und anderen Wirtschaftsinstitutionen immer noch dominant. Es ist Zeit für eine neue Ökonomie".
Wie sollte diese neue Ökonomie aussehen? Kürzlich erläuterte Benoît Cœuré, ein führendes französisches Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, vor Wirtschaftsstudenten an der Paris School of Economics, dass "die Wirtschafts-wissenschaften eine Sozialwissenschaft sind. Modelle werden uns nicht die Last und die Verantwortung abnehmen, Urteile zu fällen. Wirtschaftswissenschaften beinhalten viel Versuch und Irrtum – man muss Entscheidungen im Nebel treffen, wenn man kaum die Hand vor Augen sehen kann. Das macht unseren Beruf so spannend!"
Für mich ist die Wirtschaftswissenschaft eine Wissenschaft - wenn auch eine Sozialwissenschaft, die sich mit Menschen beschäftigt, und keine physikalische Wissenschaft. Als Wissenschaft erfordert sie eine wissenschaftliche Methode. Für mich bedeutet das, dass man mit einer Hypothese beginnt, die realistische Annahmen enthält, die von der Realität "abstrahiert" wurden, und dann ein Modell oder eine Reihe von Gesetzen konstruiert, die anhand von Beweisen getestet werden können. Das Modell kann mit Hilfe der Mathematik seine Präzision verfeinern, aber letztendlich entscheiden die Beweise.
Meiner Meinung nach müssen Wirtschaftswissenschaftler ebenso wie Physiker und Astronomen in der Lage sein, Theorien über die Wirtschaft in der realen Welt zu entwickeln und sie empirisch zu testen, damit wir Vorhersagen treffen und hoffentlich die Wirtschaftskrisen vermeiden können, die moderne Volkswirtschaften regelmäßig erleben.
Bislang habe ich die großen Ereignisse wie die Große Rezession und den Beitrag bzw. das Versagen der Mainstream-Wirtschaftswissenschaften bei der Vorhersage oder Erklärung dieser Ereignisse oder bei der Entwicklung wirksamer wirtschaftspolitischer Maßnahmen zu ihrer Behebung und zur Vermeidung weiterer Krisen in der Zukunft erörtert. Aber ein Großteil der Mainstream-Ökonomie befasst sich nicht mit diesen großen Ereignissen. Benoit Cœuré wies in seiner Pariser Vorlesung den Vorwurf zurück, die Ökonomen hätten den Ausbruch der Finanzkrise nicht vorhergesehen. "Diese Kritik ist unsinnig. Erwarten wir von Ärzten, dass sie Krankheiten vorhersagen? Nein, natürlich nicht. Aber wir erwarten von ihnen, dass sie uns helfen, Krankheiten zu heilen. Ökonomen sollten dasselbe tun."
Es ist also nicht die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaftler, Prognosen zu erstellen oder Vorhersagen zu treffen, sondern Maßnahmen zu entwickeln, um auftretende Probleme zu beheben. Dies ist ein gängiges Thema unter Wirtschaftswissenschaftlern.
Esther Duflo, eine andere Nobelpreisträgerin, meinte, Ökonomen sollten die großen Ideen aufgeben und stattdessen einfach nur Probleme lösen wie Klempner, die Rohre verlegen und die Lecks reparieren". Ökonomen seien eher wie Ingenieure als Physiker. Keynes vertrat einen ähnlichen Standpunkt: Ökonomen sollten wie Zahnärzte sein - sie sollten lästige Kinderkrankheiten beseitigen, damit der Kapitalismus reibungslos funktionieren kann. Duflo vertritt die Meinung, dass die Analogie zu den Klempnern bedeute, dass die rein wissenschaftliche Methode der Analyse von Ursache und Wirkung weniger wichtig sei als praktische Lösungen. Ökonomen sollten also eher wie Ärzte statt medizinische Forscher sein. Klempner, Zahnärzte, Ingenieure, Ärzte - aber anscheinend keine Sozialwissenschaftler.
Aber sind Ärzte alles, was für die menschliche Gesundheit wichtig ist? Tatsächlich sind die besseren Fähigkeiten von Ärzten bei der Behandlung von Patienten nach deren Erkrankung das Ergebnis wissenschaftlicher Erkenntnisse über Krankheiten, Biologie und Umwelt. Erfolgreiche Medikamente und medizinische Praktiken sind das Ergebnis von Erkenntnissen über die Ursache von Krankheiten.
Im Mittelalter wendeten die Ärzte alle möglichen nutzlosen und gefährlichen Behandlungen an (Blutegel usw.), weil sie nichts über "Keime" (Bakterien oder Viren) wussten. Die Cholera wurde schließlich durch eine geografische Studie in London eingedämmt, die zeigte, dass sie in der Nähe schlechter Trinkwasserbrunnen verbreitet war. Malaria und Pocken wurden durch die Entdeckung der Bakterienträger in verschiedenen Tieren beseitigt. Daraufhin folgten ärztliche Behandlungen.
Das bedeutet also, dass es in der Wirtschaftswissenschaft auch darum geht, eine Wirtschaft auf kleinster Ebene zu verstehen und politische Maßnahmen zu entwickeln, um die Dinge zum Besseren zu wenden – die richtigen Steuern, um Mittel für staatliche Programme aufzubringen und mehr Gleichheit zu erreichen; geeignete Preisobergrenzen, um die Energiepreise zu senken; die richtigen Staugebühren, um den Verkehr mit fossilen Brennstoffen zu reduzieren, klare Kosten-Nutzen-Analysen, um zu beurteilen, ob die HS2-Eisenbahnstrecke gebaut werden sollte oder nicht. Auch dies ist Teil der Wirtschaft.
Die meisten Wirtschaftswissenschaftler beschäftigen sich mit dieser Art von Wirtschaft und Politikgestaltung, und wahrscheinlich würden Sie damit Ihren Lebensunterhalt verdienen, wenn Sie (gemeint sind die Zuhörer; Anmerkung der Red.) Ihren Abschluss machen und in der Wirtschaft bleiben. Couere erklärte seinen Pariser Studenten, dass es eine großartige Sache sei, Wirtschaftswissenschaftler zu werden, und dass es gut bezahlt werde. "Für viele ist ein Master-Abschluss ein natürlicher Schritt zum Doktortitel. Und ein Doktortitel ist im Grunde ein Versprechen auf eine Anstellung. In den Vereinigten Staaten beispielsweise liegt die Arbeitslosenquote für promovierte Wirtschaftswissenschaftler bei etwa 0,8 % und ist damit die niedrigste unter allen Wissenschaften. Keine schlechte Ausgangsposition".
Cœurés Erfahrungen im öffentlichen Sektor mögen sich von denen derjenigen unter uns unterscheiden, die in der Privatwirtschaft gearbeitet haben. Ich habe in meiner 'Karriere' in der Privatwirtschaft, in Banken und anderen Finanzinstituten gearbeitet, und dort geht es nicht um wirtschaftspolitische Beratung und darum, die Dinge für alle besser zu machen, sondern darum, 'wie man Geld macht'. Die Wirtschaft ist dort entweder auf die Unternehmensstrategie zur Erzielung von Gewinnen in Produktion und Handel oder auf die Anlagestrategie zur Erzielung von Gewinnen bei Finanzspekulationen ausgerichtet.
Meiner Ansicht nach muss die reale Wirtschaft das "große Ganze" im Auge behalten. Wirtschaftswissenschaftler sollten nicht nur Ärzte sein, sondern Sozialwissenschaftler, oder genauer gesagt, sie sollten eine Wirtschaftswissenschaft entwickeln, die die umfassenderen sozialen Kräfte anerkennt, die die Wirtschaftsmodelle antreiben.
Das nennt man politische Ökonomie, die meist nicht an den Universitäten gelehrt wird.
Ich möchte Sie an einige der großen wirtschaftlichen Fragen erinnern, die uns alle viel mehr betreffen werden als die Frage, ob die HS2-Bahnlinie gebaut oder die Einkommenssteuer erhöht oder gesenkt werden soll.
Erstens, es geht um die globale Erwärmung und den Klimawandel. Die internationale Cop28 trifft sich gerade in Dubai und berät darüber, wie die Treibhausgasemissionen reduziert werden können. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts müssen die Emissionen um 43 % gesenkt werden, wenn die Welt einen durchschnittlichen Anstieg der globalen Temperatur um mehr als 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau vermeiden will.
Mit welchen wirtschaftlichen Theorien und politischen Maßnahmen lässt sich diese Verringerung erreichen? Es ist besorgniserregend zu wissen, wie Nicholas Stern, der weltweit führende Klimaökonom, festgestellt hat: "Die Wirtschaftswissenschaften haben beunruhigend wenig zu den Diskussionen über den Klimawandel beigetragen. So hat beispielsweise das renommierte Quarterly Journal of Economics, die derzeit meistzitierte Fachzeitschrift im Bereich der Wirtschaftswissenschaften, noch nie einen Artikel über den Klimawandel veröffentlicht!"
Und dann ist da noch das Problem der weltweiten Armut und der zunehmenden Ungleichheit von Wohlstand und Einkommen zwischen den Ländern der Welt und innerhalb der Länder. Nach Angaben der Weltbank leben etwa 3,65 Mrd. Menschen von weniger als 6,85 Dollar pro Tag. Mehr als 700 Millionen Menschen leiden täglich an Hunger. Mehr als 3 Mrd. Menschen ernähren sich nicht gesund und werden dadurch krank, fettleibig oder sogar unnütz. Ist es moralisch richtig oder sogar wirtschaftlich sinnvoll, dass die obersten 1 % der Erwachsenen weltweit fast 50 % des gesamten Privatvermögens besitzen, während die unteren 50 % nur 1 % besitzen? Was können wir dagegen tun?
Angus Deaton ist ein britischer Wirtschaftsnobelpreisträger und Experte für Armutsökonomie, der in Amerika arbeitet. In einem kürzlich erschienenen Buch sagte Deaton verärgert, dass "Mainstream-Ökonomen absichtlich das steigende Niveau der Ungleichheit und die schrecklichen Auswirkungen der Armut ignorieren und behaupten, dass dies nicht die Aufgabe der Wirtschaft sei. .... "Es gibt diese sehr starke libertäre Überzeugung, dass Ungleichheit kein angemessenes Untersuchungsgebiet für Ökonomen ist. Selbst wenn man sich über Ungleichheit Gedanken machen würde, wäre es am besten, wenn man einfach schweigt und mit ihr lebt."
Und dann ist da noch die Technologie des 21. Jahrhunderts: Roboter, Automatisierung, künstliche Intelligenz, insbesondere das Aufkommen von superintelligenten Sprachlernmodellen (LLMs). Haben Sie LLMs wie ChatGPT schon zum Zeitvertreib genutzt – aber hoffentlich nicht, um automatische Dissertationen für Ihre Professoren zu schreiben? Laut Ofcom, der Regulierungsbehörde für den Technologiesektor, nutzen vier von fünf britischen Teenagern diese Dienste für Schularbeiten. Was bedeutet das alles für Ihre zukünftigen Arbeitsplätze, wenn Sie Ihren Abschluss gemacht haben – wird die KI Sie ersetzt haben, bevor Sie Ihren Abschluss gemacht haben? Einige Wirtschaftswissenschaftler schätzen, dass weltweit 300 Millionen Arbeitsplätze wegfallen werden. Dies ist ein weiterer wichtiger Bereich für die reale Weltwirtschaft.
Abschließend möchte ich Ihnen allen sagen: Denken Sie daran, dass es da draußen eine Welt jenseits von Angebots- und Nachfragekurven und mathematischen Formeln gibt. Wirtschaftswissenschaftler und Ökonomen sollten sich nicht darauf beschränken, wie Zahnärzte Zähne zu reparieren, sondern ihre Fähigkeiten und die wissenschaftliche Methode nutzen, um das große Ganze zu verstehen und so zu einer besseren Welt für alle beizutragen. Dann können wir vielleicht vermeiden, dass wir in Zukunft von König Charles besucht werden und er wiederholt, was Königin Elisabeth sagte: "Warum haben Sie das nicht kommen sehen?"
The lesser-known history of the Monroe Doctrine
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